Die Northener "Liebeslaube" am Rande der früheren Rottekuhlen
An der Kreisstraße von Northen nach Kirchwehren , fünf Gehminuten vom westlichen Dorfrand, steht als Weg- und Landschaftsmarke eine Buschgruppe aus Hainbuchen. Eine Bank lädt zum Sitzen ein und zum Schauen über die Landschaft vor dem Waldgebiet des Großen Holzes, über Acker, den Bachlauf der Landwehr und das Weideland bis zum Saum des Waldes.
Die erste Bank stellten vor Jahrzehnten die "Straßenwärter" der staatlichen Wegeverwaltung auf. Hier hielten sie Mittagsrast, in der sommerlichen Hitze geschützt vom Schatten der Büsche. Hier wachten sie in der herbstlichen Dämmerung über die Äpfel der Straßenbäume, die mancher Northener gern in aller Heimlichkeit erntete, bevor die mit großen "Nummern" markierten "Bäume verpachtet", in öffentlichen Versteigerungen an Interessenten zum Abpflücken der Äpfel vergeben waren. Und hier suchten die Straßenwärter Schutz vor Regen, der sie von ihrer Arbeit an der Ausbesserung des Straßenpflasters und der seitlichen "Sommerwege" vertrieb.
Weil die Männer sich wohl oft im Schatten der Hainbuchen aufhielten, hießen sie im Dorfe "Schattenmänner", und man durfte sie bei manchen Gelegenheiten sogar mit diesem Titel anreden, wenn das als Scherz und nicht als ernsthafter Vorwurf mangelnden Arbeitswillens gemeint war. Doch viel schöner als der doppelsinnige Schattenname für das Buschwerk war sein Dorfname "Liebeslaube". Hier waren junge Paare für eine heimliche abendliche Begegnung weit genug vom Dorf entfernt, durch die Büsche geschützt vor neugieriger Nachschau und sicher vor überraschender Annäherung neidischer Beobachter - eine Stätte stillen Glücks zu Zeiten, in denen der Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit verpönt war.
Im Süden der "Liebeslaube" liegen "die Rothens", heute eine Wiesenfläche, auf der früher die Rottekuhlen der Gemeinde Northen angelegt waren, in denen die Bauern ihren Flachs "rotten" ließen. In den mit Wasser gefüllten Kuhlen weichten die unbrauchbaren Innenteile der Pflanzenstengel auf und lösten sich von den äußeren Fasern. Erst nach dem Verrotten und anschließendem Trocknen konnten in häuslicher Arbeit durch Brechen ("Boken") und Auskämmen ("Hecheln") die Flachsfasern für die weitere Verarbeitung ausgesondert werden.
Der Anbau von Flachs war ein jahrhundertealter, wegen der Wetterabhängigkeit zwar risikoreicher, aber zur landeseigenen Versorgung der Dörfer und Städte mit Leinenstoffen notwendiger und lohnender Zweig der Landwirtschaft. Die Weiterverarbeitung durch haushandwerkliches Spinnen und Weber sicherte der wachsenden nichtbäuerlichen Dorfbevölkerung den Lebensunterhalt. Obwohl durch die Konkurrenz der überseeischen Baumwollproduktion und der Maschinenweberei in Fabriken die Erträge aus dem Flachsanbau und der Leinenweberei schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts stark geschmälert waren, müssen diese Wirtschaftszweige in Northen lohnend geblieben sein. Andernfalls hätten die Bauern im Verfahren zur Gemeinheitsteilung und Verkopplung während der Jahre 1851 bis 1856 nicht das Gelände der Rottekuhlen an der Liebeslaube reserviert. Ebenso verdienten mit häuslicher Leinenweberei als Haupt- oder Nebenerwerb zwischen den Jahren 1852 und 1864 bis zu fünfzehn Familien im Dorf ihren Lebensunterhalt. Wann dieser Erwerbszweig im weiteren Verlauf des Jahrhunderts zum Erliegen kam, muss noch untersucht werden.
Die letzte Rottekuhle unmittelbar hinter der Liebeslaube wurde in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg aus Sicherheitsgründen zugeschüttet. Sie war für Kinder zu einem wegen der Wassertiefe und der steilen Böschung gefährlichen und verbotenen, gerade deshalb jedoch interessanten Spielplatz geworden. Das übrige Gelände war bereits früher eingeebnet und von der Gemeinde jährlich als Wiese in mehreren Stücken an die Ziegenhalter im Dorf verpachtet. Auf dem östlichen Teil loderten in jedem Jahr die Osterfeuer.
Hoffendlich wird sich einmal der Gedanke umsetzen lassen, an der Dorfgeschichtlich bedeutsamen Stätte wieder ein Grünraum mit Wasserflächen zu gestalten, in dem die Liebeslaube ihren Platz, vielleicht mit einer größeren Umpflanzung, behalten könnte.